Die Realgemeinde Weende im 20. Jahrhundert
Die Realgemeinde Weende, die die Rechtsform einer
Körperschaft öffentlichen Rechts hat und die in wirtschaftlicher Hinsicht eine
Forstgenossenschaft ist, entstand durch die so genannte Riesholzteilung im
Jahre 1766. Bereits im Jahre 1585 hatten die Bewohner des Dorfes Weende
„Anteil“ am Riesholz, vermutlich in Form des Miteigentums gemeinsam mit dem
Kloster Weende. Aufgrund verschiedener langwieriger Streitigkeiten zwischen dem
Dorfe Weende und dem Kloster Weende hinsichtlich der Nutzung des Riesholzes kam
es am 5. Juni 1766 auf Betreiben des Klosteramtmanns Cleve zu einer Teilung des
Riesholzes. Dabei bildete die Waldstraße „Billingshäuser Schlucht“ die
Teilungsgrenze, durch Losentscheid fiel der Gemeinde Weende der hintere Teil
zu, während der vordere Teil beim Kloster verblieb.
Weitere Berechtigungen hatten die Weender Einwohner im klösterlichen
„Vorgebirge“, das sind der Tannenberg, der Heinrichsberg und der Stollen. Zur
Ablösung dieser Berechtigungen wurden die Vorgebirge durch den Rezess von 1867
geteilt und die Weender Berechtigten erhielten 142 Morgen am Stollen
(Jeidental) übertragen.
Durch das Gesetz vom 5. Juni 1888, betr. die Verfassung der Realgemeinden in
der Provinz Hannover wurde dann zur Unterscheidung von den politischen
Gemeinden der Begriff Realgemeinde eingeführt. Man versteht darunter
„Genossenschaften, deren Mitglieder kraft ihrer Genossenschaftszugehörigkeit
zur Nutzung einer Gemeinheit berechtigt sind“.
Auf der Grundlage der Bestimmungen dieses Gesetzes errichteten die Berechtigten
am 15. Mai.1895 ein Statut. Nach diesem Statut betrug die Zahl der
Gemeindeberechtigungen insgesamt 109, davon hatten 2 (Hof-)Stellen je 2
Berechtigungen, 68 Stellen je 1 Berechtigung und 74 Stellen jeweils eine halbe
Berechtigung. Die halben Berechtigungen dürften auf Teilungen von Hofstellen in
früheren Jahren zurückgehen. Weitere Teilungen von Berechtigungen wurden
ausgeschlossen. Die Stellen waren satzungsgemäß Zubehör der (Hof) Stellen und
von denselben nicht trennbar.
Die Entwicklung der Realgemeinde Weende im 20. Jahrhundert ist naturgemäß stark
geprägt durch die Notzeiten in den Kriegs- und Nachkriegsjahre der beiden
Weltkriege mit den entsprechenden negativen Auswirkungen auf die
Waldwirtschaft. So wird in der Betriebsregelung von 1950, die eine
Bestandsaufnahme darstellt und Hinweise zur Waldbewirtschaftung gibt, auf einen
großen Mangel an Althölzern hingewiesen. Der hohe Fehlbestand an über 81
jährigen Beständen wurde mit dem vorzeitigen Abtrieb der aus dem Mittelwald
stammenden Althölzern in den vorangegangenen Jahren begründet. Die 41 bis 80
jährigen Bestände waren in den Jahren von 1946 bis 1948 durch übermäßige
Brennholhiebe sehr gelockert und zum Teil gelichtet worden. Diese und andere in
den Kriegs- und Nachkriegsjahren durchgeführten Überhiebe hatten in der
Realgemeindeforst eine erhebliche Verminderung des Holzvorrats zur Folge.
Erst in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts konnte eine
Konsolidierung der wirtschaftlichen Situation der Realgemeinde erreicht und die
Grundlage für den gesunden Fortbestand gelegt werden. Dieses wird insbesondere
erkennbar durch die verfügbaren Angaben zu den jeweiligen Holzvorräten, die zu
bestimmten Stichtagen ermittelt werden. Während der Holzvorrat im Jahre 1943
mit 44.100 Vorratsfestmetern angenommen wurde, ergeben sich 1950 als
Nachkriegsstand 31.775 Vorratsfestmeter. Dann ergibt sich wieder ein
allmählicher Anstieg auf 44.415 Vorratsfestmetern in 1965 und auf 51.495
Vorratsfestmetern in 1981.
Der Holzvorrat beläuft sich nunmehr nach dem Stande vom 01.10.2001 auf
insgesamt rd. 81.532 Vorratsfestmeter, das entspricht je Hektar 300
Vorratsfestmeter gegenüber durchschnittlich 284 Festmeter bei vergleichbaren
Forsten, damit ist der Realgemeindeforst leicht überbevorratet. Vom
Gesamtvorrat entfallen rd. 98% auf Laubbäume, vor allem Buche, und rd. 2% auf
Nadelbäume.
Der Realgemeindeforst erstreckt sich – wie bereits erwähnt - über die Forstorte
Riesholz und Stollen, dabei gliedert sich der Forstort Riesholz in 13
Abteilungen unterschiedlicher Größe mit einer Gesamtfläche von 233,2 ha,
während der Forstort Stollen (Jeidental) 5 Abteilungen mit einer Gesamtfläche
von 45,4 ha umfasst. Von der Gesamtgröße von 278,6 ha entfallen 272,0 ha auf
Holzbodenflächen und 6,6 ha auf Nichtholzbodenfläche (Wegeflächen und
Stromleitungstrasse).
Bereits das Gesetz von 1859 über die Verwaltung von Gemeinde- und
Kirchenforsten regelte, dass die Gemeinde- und Genossenschaftsforsten von den
königlichen Forstbehörden und Forstbeamten verwaltet werden. Für Weende war
seit 1870 die Oberförsterei Bovenden (ab 1935: Forstamt Bovenden) zuständig.
Durch die Neuordnung der Niedersächsischen Forsten ( u.a. Überführung des
landeseigenen Waldes auf Anstalt öffentlichen Rechts Nieder-sächsische Forsten
und die Zusammenlegung von Forstämtern) erfolgt die Betreuung nunmehr durch das
Forstamt Reinhausen, die zuständige Revierförsterei ist weiterhin Bösinghausen.
Während der Holzeinschlag früher durch eigene angestellte Holzhauer und später
durch eine angeworbene auswärtige Holzhauerkolonne vorgenommen wurde, wird
jetzt die Holzernte durch einen selbständigen Forstwirt durchgeführt. Zu Beginn
der Hauungsperiode wird ausgehend von einem mehrjährigen Betriebsplan vom
Betreuungsförster ein Hauungsplan aufgestellt, in dem der mengenmäßige Umfang
des Holzeinschlags und die jeweils betroffenen Abteilungen festgelegt werden.
Dabei wird nach den Nutzungsarten zwischen der Läuterung (Pflegemaßnahmen in
Jungbeständen), der Durchforstung (Pflege des Waldes durch Aushieb von Bäumen
nach verschiedenen waldbaulichen Kriterien wie. z.B. Qualität) und der
Zielstärkennutzung (Einzelstamm-Nutzung reifer und alter Bäume, die Zielstärke
erreicht z.B. die Buche nach ca. 140 Jahren) unterschieden.
Das bei der Holzernte anfallende Holz minderer Qualität wird an Unternehmen der
Plattenindustrie veräußert. Käufer des höherwertigen Stammholzes sind
Sägewerke, durch besondere Aushaltungen (u.a. durch bestimmten längenmäßigen
Zuschnitt) kommt auch ein Verkauf als Parkett- oder Schwellenholz in Betracht.
Eine Besonderheit stellen die Einlieferungen von hochwertigen Bunt- oder
Edellaubhölzern zur alljährlichen zentralen Buntholz-Submission des Forstamtes
Katlenburg-Lindau dar. Die bei dieser Submission auftretenden Bieter erwerben
diese Hölzer für die Furnier- und Möbelherstellung oder den
Musikinstrumentenbau. Eine kleine Sensation, die auch in der Fachliteratur
Niederschlag gefunden hat, waren zwei Elsbeerenstämme (Sorbus torminalis L.
CRANTZ), die die Realgemeinde Weende im Jahre 1997 zur Versteigerung brachte
und die einen Versteigerungserlöse von 11.669,-- DM bzw. 21.390,-- DM
erreichten.
Die ursprüngliche Bedeutung des Weender Waldes als Quelle zur Brenn- und
Bauholzversorgung der Weender Bevölkerung war in der zurückliegenden Zeit immer
stärker zurückgegangen. Im Zeichen der steigenden Energiepreise treten jetzt
wieder vermehrt Selbstwerber auf, das sind Personen, die nach Einweisung durch
den Realgemeindevorstand mit der Kettensäge in den Wald gehen und für den
Eigenbedarf Brennholz aufarbeiten und für ihre Kamin- oder auch Zentralheizung
nach Hause schaffen. Da wird wieder die alte Tradition lebendig, von der nur
noch die Älteren berichten können, die mit der Säge und dem Handwagen in den
Wald zogen, um sich mit Brennholz für den Winter zu versorgen.
Die abgelegene, weit vom Dorfe Weende entfernte Lage des Riesholzes hat sich in
der Vergangenheit unter dem Gesichtpunkt des Forstschutzes durchaus als günstig
erwiesen; denn den Weender Einwohnern erschien der Weg zu dem eigenen Wald zu
weit, so dass der Holzbedarf oftmals in näher gelegenen Waldungen gedeckt
wurde. Andererseits bestand aber das Erfordernis, den eingesetzten Holzhauern
einen Witterungsschutz zu bieten. Daher wurde bereits im 19. Jahrhundert im
Riesholz eine Schutzhütte errichtet, der die Bezeichnung „Weiße Hütte“
beigelegt wurde. Im letzten Jahrhundert wurde die Hütte mehrfach erweitert bzw.
verbessert und durch ein Wirtschaftsgebäude ergänzt.
Im Jahre 1976 wurde im Forstort Stollen für die Verlegung einer 110 KV-Leitung
der Preußischen Elektrizitäts-Aktiengesellschaft (Preußenelektra) eine Schneise
geschlagen, die eine Fläche von 4,14 ha einnimmt. Diese Schneise ist ständig
von höher wüchsigen Bäumen frei zu halten. Um dieses Areal dennoch einer
Nutzung zuzuführen, wurde im Jahren 1984 hier eine Weihnachtsbaumkultur
angelegt.
Die Jagd ist auf jeweils neun Jahre verpachtet; dabei bildet der
Realgemeindewald im Riesholz zusammen mit dem Nikolausberger Wald einen eigenen
Jagdbezirk, während das Jeidental (Stollen) im Rahmen einer größeren
Jagdgenossenschaft verpachtet ist.
Die Realgemeindemitglieder und zahlreiche Gäste feiern in jedem Sommer das
Waldfest. bei der „Weißen Hütte“. Das Fest geht ursprünglich auf die
alljährliche Grenzbegehung mit einer Abschlussfeier bei der „Weißen Hütte“
zurück. Das Interesse an der Grenzbegehung, die dazu diente insbesondere die
jüngeren Realgemeindemitglieder mit den Waldgrenzen vertraut zu machen und das
Vorhandensein der Grenzmarkierungen zu überprüfen, hatte in den letzten Jahren
stark nachgelassen, so dass seit einiger Zeit von der Durchführung von
Grenzbegehungen abgesehen wird.
Der Realgemeindeforst ist seit dem 12.07.2001 nach PEFC (Pan-Europäisches
Forst-Zertifizierungssystem) zertifiziert. Damit ist für die Realgemeinde die
Verpflichtung zu einer nachhaltigen Waldbewirtschaftung verbunden. Das
erfordert u.a. die Erhaltung und angemessene Verbesserung der forstlichen
Ressourcen und ihr Beitrag zu globalen Kohlenstoffkreisläufen, Erhaltung und
Förderung der Produktionsfunktion der Wälder (Holz- und Nichtholz) sowie die
Erhaltung und Verbesserung der Schutzfunktionen bei der Waldbewirtschaftung
(vor allem Boden und Wasser, hier der Hinweis, dass sich der Weender Wald in
einem Wasserschutzgebiet befindet). Letztendlich ist auch die Bedeutung als
Naherholungswald zu beachten.
Zusammenfassen kann festgestellt werden, dass die Realgemeinde nicht nur den
wirtschaftlichen Interessen Ihrer Mitglieder dient, die an Ergebnissen der
Waldbewirtschaftung durch die jährlichen Ausschüttung in unterschiedlicher Höhe
Anteil haben. Der Weender Wald erfüllt auch - wie sich insbesondere aus den
obigen Ausführungen zur Zertifizierung ergibt - gesellschaftliche und soziale
Funktionen.
(Hans-Hermann Walter)
Literaturverzeichnis:
Böhme, Ernst, Scholz, Michael und Wehner, Jens: Dorf und Kloster
Weende von den Anfängen bis ins 19. Jahrhundert
Dawe, Ewald: Aus der Geschichte der Realgemeinde Geismar
Fahlbusch, Otto: Der Landkreis Göttingen in seiner geschichtlichen,
wirtschaftlichen und rechtlichen Entwicklung
Kausch-Blecken von Schmeling, W., Die Elsbeere
Schäfer-Richter: Uta: Eine Arbeitervorstadt entsteht – Weendes Weg in
Industriezeitalter
Schmidt-Bucherer: Felix, Zu einer Karte der Pleßforsten von etwa 1600, in
Göttinger Jahrbuch 1954
Schmidt, Hermann: Quellen und Grundwasser im Landkreis Göttingen, in Göttinger
Jahrbuch 1952
Soppa, Berthold: Ein Beitrag zur Geschichte der Realgemeinde Weende
Wagenhoff, Albrecht, Der Wald des ehemaligen Klosters, seine jetzigen
Eigentümer, seine frühere Nutzung und seine heutige Pflege, in Plesse Archiv,
Heft 31 -1996
Sonstige Quellen
Protokolle und Akten der Realgemeinde Weende
Betriebsplan für Realgemeinde-Forst Weende zum Stichtag 1.10.2001
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